You are currently viewing Verwertung offener Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Sebastian Geidel - Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht

Verwertung offener Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht

Verwertung offener Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht

Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist ein komplexes Thema, das Datenschutzbeauftragte, Rechtsanwälte und Arbeitgeber gleichermaßen betrifft. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zur Verwertbarkeit offener Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht.

Kürze Zusammenfassung des Urteils

In einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. Juni 2023 (2 AZR 296/22) wurde entschieden, dass Aufzeichnungen aus offener Videoüberwachung grundsätzlich im Kündigungsschutzprozess verwendet werden können, selbst wenn datenschutzrechtliche Vorgaben nicht vollständig erfüllt sind. Besonders relevant ist diese Entscheidung, wenn die Videoaufnahmen vorsätzliches vertragswidriges Verhalten von Arbeitnehmern dokumentieren.

Der konkrete Fall vor dem BAG

Der Fall, der vor dem BAG verhandelt wurde, dreht sich um einen Mitarbeiter einer Gießerei, dem Arbeitszeitbetrug vorgeworfen wurde. Mithilfe offener Videoüberwachung am Werkstor konnte die Arbeitgeberin Hinweisen auf regelmäßigen Arbeitszeitbetrug nachgehen. Die Auswertung der Aufzeichnungen zeigte, dass der Mitarbeiter das Werksgelände vor Beginn einer Mehrarbeitsschicht verlassen hatte. Dies führte zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

In seiner Kündigungsschutzklage argumentierte der Mitarbeiter, dass die Videoüberwachung unrechtmäßig sei und die Aufnahmen nicht verwendet werden dürften. Die Entscheidung des BAG war klar: Die Einwände des Mitarbeiters wurden abgelehnt, und das Verfahren wurde zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das BAG betonte, dass selbst bei datenschutzrechtlichen Mängeln die prozessuale Verwertbarkeit der Aufzeichnungen bestehen bleibt.

Bedeutung für die Praxis

Das BAG-Urteil vom 29. Juni 2023 ist ein wegweisendes Urteil, das die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in der Zukunft wahrscheinlich beeinflussen wird. In Zukunft werden Arbeitsgerichte bei der Frage der Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen wohl stärker darauf abstellen, ob die Aufnahmen vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer sich in Kündigungsschutzklagen nicht allein auf ein Verwertungsverbot von Videoaufnahmen berufen können, selbst wenn die Verarbeitung nicht allen DSGVO-Vorgaben entspricht.

Arbeitgeber erhalten dadurch mehr Spielraum, Videoaufzeichnungen auch zu Lasten des Arbeitnehmers im Prozess zu verwenden. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass trotz der Verwertbarkeit hohe Datenschutzanforderungen an Videoaufzeichnungen gestellt werden müssen. Eine korrekte Dokumentation und eine Datenschutz-Folgeabschätzung sind unerlässlich und stellen Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen.

Arbeitgeber, die Videoaufzeichnungen nicht datenschutzkonform verwenden, können mit rechtlichen Folgen konfrontiert werden. So können Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sie durch die unrechtmäßige Videoüberwachung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurden. Außerdem können Arbeitgeber von den Aufsichtsbehörden mit Bußgeldern belegt werden.

Fazit

Das BAG-Urteil vom 29. Juni 2023 hat weitreichende Auswirkungen auf die Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen im Arbeitsrecht. Arbeitgeber sollten die Entscheidung daher aufmerksam zur Kenntnis nehmen und ihre Videoüberwachungssysteme datenschutzkonform ausgestalten.

Sebastian Geidel
Rechtsanwalt